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Stressiger Traumjob: Gemeinsam oder einsam streiten

Originalbericht online publiziert am 16.11.2017
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.03.2010):
Original article published online on 16.11.2017
(“Die Presse”, printed edition, 20.03.2010):
https://www.diepresse.com/547470/stressiger-traumjob-gemeinsam-oder-einsam-streiten

Foto von Pavel Danilyuk / Photo by Pavel Danilyuk

von Anna Neubauer

Prestigeträchtig und gut bezahlt: Anwalt zu werden ist für viele junge Juristen das große Berufsziel, trotz hoher Anforderungen und langer Arbeitstage. Ob große, kleine oder eigene Kanzlei, ist dabei Geschmackssache.

Für und Wider abwägen. Urteilen. Argumentieren. Blitzschnell reagieren. Für Rechtsanwälte gehört das zum Berufsalltag. Aber nicht nur im beruflichen Umfeld, auch wenn es um eigene Belange geht, ist Entscheidungsfreude gefragt. Schon am Start der Karriere stehen einige Weichenstellungen an: Möchte man in einer großen, kleinen oder irgendwann in einer eigenen Kanzlei arbeiten? Sieht man sich eher als Generalisten oder als Spezialisten? Und will man streitbar nur im Vordergrund stehen oder ausschließlich penibel im Hintergrund arbeiten?

Im Prinzip seien das die zwei Typen, die in Anwaltskanzleien gebraucht werden, meint Alexander Klauser von der Kanzlei Brauneis Klauser Prändl: die einen, die minutiös und diffizil etwa Rechtsgutachten oder wissenschaftliche Arbeiten erstellen. „Und die anderen, die im Prozess im Feuer stehen.“

Klauser meint, man merke oft gleich, wer für welchen Bereich geeignet ist – manchmal schon im Erstgespräch. Doch noch entscheidender als die Typfrage sei das Auftreten den Mandanten gegenüber. Denn: „Ein Anwalt ist ein Dienstleister, da ist die Persönlichkeit ungemein wichtig.“ Er muss Vertrauensperson, Berater und Psychologe sein – und, wenn nötig, auf sein Gegenüber auch einen gewissen Druck ausüben können. Und man braucht gute Nerven in Konfliktsituationen. Klauser: „Die Stimmung ist oft aufgeladen, damit muss man umgehen können.“

Doch auch mit sich selbst muss man vorab einiges ausmachen. Welches Leben erwartet einen, wenn man sich für den Anwaltsberuf entscheidet? Eine der wichtigsten Eigenschaften für diesen Beruf sei Flexibilität, sagt Thomas Adocker, Rechtsanwalt bei Schwarz Schönherr. „Wenn ich in der Früh zur Arbeit gehe, weiß ich nie, was auf mich zukommt. Es kann sein, dass ein Fall am Freitag hereinschneit – und bis Montag fertig sein muss.“ Die Work-Life-Balance sei deshalb nicht immer optimal. Vor allem Großkanzleien haben in dieser Hinsicht nicht den allerbesten Ruf. Sieben Tage pro Woche arbeiten, und das rund um die Uhr – was ist dran an dem Klischee? Nicht so viel, meint Georg Schlotter, Head of Human Resources bei Wolf Theiss: Am Wochenende seien die Büros grundsätzlich menschenleer, wochentags „basieren die Arbeitszeiten auf Vertrauen und Flexibilität“.

Rund um die Uhr arbeiten?

Doch, so Schlotter, es werde abends mitunter schon etwas später – schon allein durch die Zeitverschiebung, wenn internationale Transaktionen umzusetzen sind. Und auch sonst gebe es „zyklisch und bei sehr anspruchsvollen Projekten“ mitunter eine höhere Beanspruchung. Andererseits könne jedoch „eine Mittagspause schon einmal etwas länger dauern“. Und durch die flexiblen Strukturen innerhalb der Teams „kann die Arbeit leichter auf mehrere Schultern verteilt werden“. Auch sonst habe die Größe ihre Vorteile: Sabbaticals seien ebenso möglich wie ein Monat zusätzlicher Urlaub zur Rechtsanwaltsprüfung, Freistellungen für private Publikationen oder oder Teilzeitmodelle für junge Eltern.

In kleineren Kanzleien wiederum ist es der meist persönlichere Umgang miteinander, der vieles erleichtert. „Wenn man wirklich einmal früher weggehen muss, kann man sich im Team gut absprechen“, meint etwa Philipp Hofer, seit einem Jahr Konzipient bei Willheim Müller Rechtsanwälte.

Auch sonst weiß Hofer die überschaubare Struktur zu schätzen: Sie ermögliche es, sich von Anfang an „als Teil der Kanzlei zu fühlen, als jemand, der nicht so austauschbar ist und etwas mit aufbauen kann“. Und man bekomme die Chance, sofort auch an den „großen“ Fällen mitzuarbeiten. Seine Kollegin Mara-Sophie Häusler sieht das ähnlich. Sie entschied sich bewusst für ein kleineres Team, weil sie eine breite Ausbildung wollte – ein Wunsch, der sich erfüllt habe. Das bestätigt auch die Chefetage der Kanzlei, die sich als „Alternative“ neben den Großen positionieren will: Hohe fachliche Spezialisierung gebe es auch hier, sagt Partner Johannes Willheim, aber genauso wichtig sei es, den jungen Juristen das „advokatorische Handwerkszeug“ zu vermitteln, sie mit allen Facetten des Berufs vertraut zu machen – und ihre „persönliche und menschliche“ Entwicklung zu begleiten: „vom Studenten oder Konzipienten bis zum Anwalt und Partner“.

Partner in einer bestehenden Sozietät zu werden ist für viele das nächste Ziel nach der Rechtsanwaltsprüfung. Den alternativen Ansatz – allein durchzustarten und eine eigene Kanzlei zu gründen – riskieren eher wenige. Eine goldene Nase könne man sich damit auch wirklich nicht mehr verdienen, meint Binder-Krieglstein. Die Ausgangslage für ein solches Unterfangen sei jedoch gerade jetzt gar nicht so schlecht. Denn seit der Wirtschaftskrise wird wieder mehr gestritten. Und das lässt die Kassen klingeln.

Drei Jahre durchhalten

Wagt man den Schritt in die Selbstständigkeit, so ist das Um und Auf eine glasklare Positionierung und Spezialisierung der Neo-Kanzlei. Und man braucht Bereitschaft zu „untypischer“ Arbeit: Die juristische Tätigkeit mache in einer Kanzlei bloß etwa ein Drittel der Arbeit aus, der große Rest entfalle auf Gespräche mit Mandanten und Organisatorisches.

Geduld sei ebenfalls gefragt, sagt Clemens Binder-Krieglstein von der gleichnamigen Kanzlei: „Sich einen guten Ruf aufzubauen dauert im Schnitt drei Jahre. Erst dann wird man weiterempfohlen.“ Das Startkapital müsse dagegen gar nicht so dick sein, wie man oft meint. Vor allem brauche man nicht gleich eine Nobeladresse, und auch sonst halten sich die nötigen Investitionen in Grenzen. Bei der Einrichtung sollte allerdings nicht gespart werden. Und noch ein altes Klischee stimmt: Kleider machen Leute. Denn die Qualität der Arbeit lässt sich nicht auf den ersten Blick erkennen. Die des äußeren Erscheinungsbildes schon.

 

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.03.2010)