Auszug aus dem gleichnamigen Artikel von Alexandra lvanova / Sigrid Tresnak¹, publiziert in Österreichische Zeitschrift für Kartellrecht 12, 89-93 (2019), ÖZK 2019, 89 / Heft 3, © Verlag Österreich 2019
I. Einleitung
Am 20.12.2018 lud Dr. Theodor Thanner, Generaldirektor der BWB, zum 41. und letzten Competition Talk für 2018, welcher abschließend in den Räumlichkeiten des Hotels Stefanie stattfand. Er blickte auf sieben erfolgreiche Competition Talks in diesem Jahr, unter anderem auch in Salzburg, Dornbirn und Innsbruck, zurück. Das bewährte Format zählte insgesamt 250 Gäste und 20 verschiedene hochkarätige Speaker. So war es ihm eine große Freude zum Thema „Schiedsgerichtsbarkeit und Wettbewerb” Dr. Johannes Willheim, Kartellrechtsexperte und Experte für Schiedsgerichtsverfahren zu begrüßen. […]
IV. Vortrag von Johannes P. Willheim
Dr. Willheim, Rechtsanwalt bei Jones Day, erklärt zu Beginn seines Vortrages weshalb das Thema Schiedsgerichtsbarkeit und Kartellrecht mehr und mehr in den Fokus rückt. Das akademische Interesse daran sei enorm, das zeigen nicht zuletzt die vielen Publikationen auf diesem Gebiet. Auch seien die wesentlichsten kommerziellen Transaktionen kartellrechtlich geprägt. Daher komme die Beurteilung kartellrechtlicher Fragen in der Schiedsgerichtsbarkeit regelmäßig vor. Der Anwendungspraxis fehlt es allerdings noch an Bewusstsein dafür, wie viele kartellrechtliche Themen überhaupt Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können. So wichtig das Kartellrecht auch ist, so jung ist es noch.
Dr. Willheim führte mit den typischen Anwendungsfällen von Kartellrecht in Schiedsverfahren fort. Dazu gehöre zum einen die klassische euro-defense, also die Weigerung vertragliche Vereinbarungen zu erfüllen durch Berufung darauf, dass die gegenständliche Vereinba1ung österreichisches oder europäisches Kartellrecht verletzt. Dabei handle es sich um den häufigsten Anwendungsfall. Dieser gelange mehr und mehr an Bedeutung, da in der Vergangenheit zum Teil die Sensibilisierung für kartellrechtswidrige Vertragsvereinbarungen fehlte. Das nächste Anwendungsbeispiel ist die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, wie zum Beispiel Schadenersatz. Was im Bewusstsein vieler noch nicht vorhanden sei, aber in der Praxis häufig vorkomme, ist zudem die Geltendmachung von Vertragsanpassungsansprüchen im Zusammenhang mit Kartellrechtsverstößen, zum Beispiel im Fall von Marktmachtmissbrauch, wo die kartellrechtliche Nichtigkeit nicht die zwingende Rechtsfolge sei, sondern eine Vertragsanpassung (Preisanpassung, Streichung kartellrechtwidriger Klauseln) erzielt werden kann.
Ein weiteres nicht offensichtliches Beispiel ist die Fusionskontrolle, wo Schiedsgerichten eine enorme Bedeutung zukomme. In der Fusionskontrolle spielen sowohl strukturelle als auch verhaltensorientierte Verpflichtungszusagen eine große Rolle. Verhaltenszusagen sind zwar auch geeignet, wettbewerbliche Bedenken auszuräumen, sie sind jedoch insofern problematisch, als sie nicht leicht überwacht werden können. Schiedsgerichte können die Verhaltenszusagen überwachen. Die Verhaltenszusage enthält in diesen Fällen ein open offer to arbitrate. Damit kann Mitbewerbern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Ansprüche, zum Beispiel den Zugang zu Infrastruktur, über ein Schiedsgericht durchzusetzen.
Der nächste Anwendungsfall ist verfahrensrechtlicher Natur, und zwar handelt es sich dabei um den kartellrechtlichen Einwand im Zusammenhang mit document production requests in Schiedsverfahren. In Schiedsverfahren kann eine Partei dazu verpflichtet werden in ihrem Besitz befindliche Urkunden der anderen Partei zur Verfügung zu stellen. Bei diesem Anwendungsfall beruft sich die Partei mit den Dokumenten darauf, dass sie die geforderten Urkunden kartellrechtlich nicht zur Verfügung stellen darf, weil sie strategische Informationen enthalten, die zwischen Wettbewerbern nicht ausgetauscht werden dürfen. Häufig erfolgt dabei eine Berufung auf die Leitlinien der Kommission über horizontale Zusammenarbeit. Der Einwand sei in der Praxis oft allerdings wertlos, da die Kartellrechtswidrigkeit des Austausches von Informationen bewiesen werden muss und dies nur selten erfolgreich ist.
Ein ganz wesentlicher Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit sei die Wahl der Schiedsrichter. Häufig werden dabei Ökonomen gewählt. Ein weiterer Vorteil seien die weitreichenden Möglichkeiten im Beweisverfahren, insbesondere durch die cross-examination. Zudem nennt der Vortragende die erfolgreiche Einsetzung von Privatgutachten in Schiedsverfahren. Diese werden im Gegensatz zum Zivilverfahren im Schiedsverfahren gehört. Die Flexibilität des Verfahrens ermöglicht, dass die Beurteilungen der ,Privatgutachter im Schiedsverfahren gegenübergestellt werden. Anschließend müssen sie zu den strittigen Punkten dem Schiedsgericht gegenüber ihre Ansichten erklären. Darüber hinaus kann das Schiedsgericht von sich aus einen eigenen Sachverständigen bestellen, um aus den Ansichten der Privatgutachter eine eigene Meinung zu bilden. Die Flexibilität des Schiedsverfahrens gestattet auch, dass kartellrechtliche Fragen in ihrer Gesamtheit und dem Grunde nach geklärt werden. Insbesondere ist dies bei Follow-on Klagen relevant, wo mehrere Kläger ihre Ansprüche geltend machen. Ist der zugrundeliegende Anspruch dem Grunde nach geklärt, können die jeweiligen Schadenersatzansprüche effektiv beurteilt werden.
Zum Thema Vertraulichkeit erklärt der Vortragende, dass diese nur dann gilt, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurde. Die Vertraulichkeit sei allerdings von der nicht-Öffentlichkeit zu unterscheiden. Diese gilt in den meisten Schiedsverfahren. In der Praxis legen Schiedsgerichte regelmäßig Vorlagefragen über Rechtshilfe vor, wenngleich es in Österreich bisher noch keinen Fall dazu gegeben hat.
Ein weiterer großer Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit ist die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen, die dank des New Yorker Übereinkommens nicht von bilateralen Abkommen abhängig ist. Aus Sicht von Dr. Willheim sind Schiedsverfahren ein ideales Forum, um kartellrechtliche Streitigkeiten zu lösen.
¹ Mitarbeiter der BWB: Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und stellen nicht zwangsläufig die Standpunkte der Behörde dar.
Deskriptoren: BWB, Wettbewerb, Schiedsgerichtsbarkeit, Vienna International Arbitration Center – VIAC, ICC.
Normen: § 139 WKG; § 124 KartG 1988; Art 6, 15, 16 der VO 1/2003, RL 104/2014, Art 101 AEUV; Art 102 AEUV.